Stimmt das Haar nicht, stimmt gar nichts…

Danniel Saner weiss, wovon er spricht: Seit über 30 Jahren hat er seinen Salon am Zürcher Limmatquai. Also los, 40 Fragen an den Experten. Lesen sie hier

Text:  «Magazin»-Redaktor Mikael Krogerus
Bilder: Florian Kalotay

  1. Beginnen wir mit dem Anfang: Wie lautet Ihre Standard-Einstiegsfrage an den Kunden?
    «Wie möchtest du dich mit deinen Haaren fühlen?» Dann kann der Kunde oder die Kundin antworten: sportlich, praktisch, elegant, sexy. So bekomme ich ein Gespür für die Person, ob sie die Haare kürzer oder länger will, mehr oder weniger Volumen.

  2. Es folgt die für viele Menschen unangenehme Situation:
    Der Coiffeur will wissen, welche Frisur man möchte – und man hat keine Ahnung, keinen Mut, oder es fehlt das Vokabular. Was tun? Das Schlechteste wäre zu fragen: «Was empfehlen Sie mir?» Ich kenne den Kunden doch noch gar nicht! Vielleicht braucht es etwas Überwindung, und man kommt sich vor wie ein Teenager, aber ein Foto aus einer Zeitschrift mitzubringen, liefert mir schon sehr viele Infos und vermeidet Missverständnisse.

  3. Ein bisschen Basiswissen: Welche Frisur passt zu welcher Kopfform?
    Es gibt ein paar einfache Regeln: Die Eierkopfform kann alles tragen, ein rundliches Gesicht ist meistens besser mit längerem Haar, seitlich schmal und fransig ins Gesicht frisiert, eine hohe Stirn wird mit Fransen verschönert, ein schmales Gesicht braucht mehr Volumen, vor allem seitlich.

  4. Wie viele verschiedene Basishaarschnitte gibt es überhaupt?
    Eigentlich nur drei: den Pagenkopf, auch Carré oder kompakte Form genannt, dann den gestuften Schnitt, Graduation genannt, und den Rundschnitt. Und dann gibt es tausend Variationen von allen.

  5. Was ist der schwierigste Schnitt?
    Der Rundschnitt à la Mireille Mathieu. Da musst du unheimlich präzise arbeiten. Ich habe lange gebraucht, um den zu perfektionieren.

  6. Welches ist Ihr wichtigstes Werkzeug?
    Kämme, Bürsten, Onduliereisen (rund, konisch, oval), Streckeisen und natürlich Scheren in allen Variationen: kurze, lange, gebogene, Effilierscheren. Gute Qualitätsscheren kosten 400 bis 2000 Franken, sind sehr empfindlich und halten, je nachdem, rund ein Jahr.

  7. Mit dem Messer schneiden – macht das noch jemand?
    Wird immer noch gemacht – bestimmte Effilationstechniken, die bewirken, dass das Haar fliessender fällt, gehen mit dem Messer besser. Früher hat man nur mit dem Messer geschnitten, so habe ich es gelernt. Und dann kam Vidal Sassoon, der veränderte in den 1960ern alles: Sassoon stand auf sehr geometrische Formen, die nur mit Scheren möglich waren und zu diesen sehr symmetrischen und grafischen Kleidern von André Courrèges passten. Sassoon war noch völlig unbekannt, deshalb hiess der Haarschnitt erst Courrèges-Schnitt, später erst nannte er ihn «The Five-Point Cut». Dann ging der Sassoon ab wie eine Rakete, er hat unseren Beruf revolutioniert.

  8. Nach seinem Geheimrezept beim Schneiden gefragt, sagte Sassoon einmal: «Bring out the bone structure.» Und: «Bring out the eyes.» Einverstanden?
    Absolut, es sind die zwei stärksten Merkmale des Gesichts, und die musst du mit der Frisur zur Geltung zu bringen versuchen. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: Ein Fransenschnitt zum Beispiel betont die Augen, ein Pagenschnitt die Wangenknochen.

  9. Wer sind heute die grössten Stars der Branche?
    Oribe, Guido Palau, die Brüder Giuseppe und Gaetano Mascolo von Toni&Guy, Felix Fischer, Patrick Cameron… um nur ein paar wenige zu nennen.

  10. Gibt es eine Faustregel, wie oft man zum Coiffeur gehen sollte?
    Alle vier bis sechs Wochen.

  11. Und wie häufig darf man sich die Haare waschen?
    Wenn du ein gutes, säureausgleichendes Shampoo verwendest, kannst du sie dir jeden Tag waschen, dabei die Haare nur ganz leicht dureschüümele.

  12. Volkskrankheit Schuppen – gibts inzwischen ein Rezept?
    Es gibt die bekannten Shampoos und Lotionen. Aber ich bleibe dabei: Schuppen sind Ausdruck von Stress, Nervosität, Belastung. Daran musst du arbeiten.

  13. Glaubensfrage: Wachs oder Gel?
    Sind zwei völlig verschiedene Sachen, und viele verwechseln das. Gel benutzt du zum Zubetonieren, also Nachhintengelen oder Aufstellen. Wachs ist weicher und glänzender, wenn man es lockerer will. Häufiger Fehler: Die Leute vergessen, das Wachs zuerst in der Hand zu verreiben, bevor sie es ins Haar schmieren.

  14. Was muss man wissen, wenn man beim Färben selber Hand anlegt?
    Man sollte immer einen Ton heller wählen. Aber um Überraschungen zu vermeiden, gehen Sie lieber zum Coiffeur ...

  15. Und was ist beim Bleichen zu beachten?
    Die meisten Mitteleuropäer haben aschfarbenes Haar, das ist am schwierigsten aufzuhellen, weil es viele Rotpigmente enthält. Der Bleichprozess geht von Dunkelrot über Orange und Dunkelgelb bis Hellgelb – dann erst kommt das gewünschte Platin. Wenn das Haar schon strapaziert ist oder sehr fein, ist die Bruchgefahr gross. Kurz gesagt: Selber bleichen ist ein grosses Risiko, das sollte wirklich nur der Coiffeur machen.

  16. Conditioner: ja oder nein?
    Eindeutig ja. Nach jedem Waschen. Immer. Pflegeprodukte sind ganz generell wichtig. Manche Kunden sparen da am falschen Ort, dabei ist gesundes, glänzendes Haar das wichtigste Schönheitsattribut. Wie heisst es so schön: «Invest in your hair, it’s the crown you never take off.» Die Amerikaner, Franzosen und Italiener sind da wesentlich pflegebewusster als wir Schweizer.

  17. Spontan: zwei Vorbilder in Sachen Frisur?
    Männer: immer noch David Beckham. Frauen: Linda Evangelista, keine konnte sich so verändern wie sie. Jede Frisur sah an ihr gut aus.

  18. Wann kommt die Dauerwelle wieder?
    Für mich nie mehr. Früher habe ich alles gemacht – Afro-Pyramiden, Stützdauerwellen. Da aber heute viel mit Méches und Farben gearbeitet wird, ist eine Dauerwelle meist zu strapaziös für die Haare. Volumen kann auch mit einem guten Schnitt und tollen Produkten erzielt werden.

  19. Waschen, legen, föhnen – was bedeutet eigentlich «legen»?
    Legen heisst: Lockenwickler eindrehen. Macht man heute kaum mehr, die Technik wurde verdrängt von diversen heissen Eisen.

  20. Sexsymbol Glatze: Steht sie jedem?
    Nein, bei der Glatze kommt es sehr auf die Kopfform an. Viele Männer haben einen flachen Hinterkopf, da würde ich von einer Glatze abraten. Auch Unebenheiten und Narben auf dem Kopf sind schwierig, da empfehle ich, lieber auf drei bis vier Millimeter kurz zu rasieren.

  21. Ist der Männerdutt – der Bun – passé?
    Nein, den finde ich sehr heiss. Am besten gefällt es mir, wenn die Haare nicht zu perfekt, sondern zufällig hochgebunden werden und der Mann einen geilen, markanten Kopf hat.

  22. Was ist die schönste Technik beim Zöpfeln?
    Es gibt extrem viele neue, sensationelle Flechtarten, zu meinen Lieblingen gehört der Fishtail, das Fischgrätmuster.

  23. Ihr Kommentar zu Extensions?
    Mit Extensions kann man schnell einen völlig neuen Look kreieren. Super für Fotoshootings und Shows. Allerdings gilt: Nur perfekte Techniken sehen gut aus.

  24. Welcher Schnitt hilft aus Lebenskrisen?
    Oft etwas Radikales, damit man ein altes Bild loslassen, sich von alten Geschichten und Gewohnheiten trennen kann. Du kannst dann im Wortsinn alte Zöpfe abschneiden. Ich hatte eine Kundin mit sehr langen Haaren, ich wusste, dass sie seit Längerem eine ziemlich schwere Krise durchmachte. Und da sagte ich einmal: Komm, jetzt schneiden wir die Haare ab. Sie: Also gut. Ich war dann richtig drastisch. Und sie ist heulend zum Laden raus. Einige Tage später bekam ich einen Riesenblumenstrauss. Dank der neuen Frisur konnte sie sich von der alten Geschichte befreien.

  25. Coiffeure sind Menschenkenner. Mit Ihrer 40- jährigen Erfahrung: Woran erkennt man einen schwierigen Charakter?
    Wenn die Person über ihre früheren Coiffeure flucht oder sagt, dass es noch keiner geschafft habe, ihre Wünsche zu erfüllen.

  26. Haben Coiffeure Schweigepflicht?
    Ja, absolut, da Haareschneiden etwas sehr Intimes ist, werden auch dementsprechende Geschichten erzählt. Manchmal sogar solche, die Kundinnen nicht mal ihren Freundinnen anvertrauen.

  27. Deutsche sagen «Friseur», Schweizer «Coiffeur» – wer hat recht?
    Beide. Ich bezeichne mich als Hairstylisten.

  28. Warum sind Haare für Frauen wichtiger als für Männer?
    Vielleicht weil man bei Frauen mehr verändern und an Schönheit herausholen kann? Haare sind das entscheidende Puzzleteil am Gesamterscheinungsbild eines Menschen. Stimmt das Haar nicht, stimmt gar nichts.

  29. Warum sind Frauenschnitte so viel teurer als Männerschnitte?
    Man schneidet, stylt und föhnt länger. Aber gerecht ist der Preisunterschied eigentlich nicht, Männerschnitte sind genauso anspruchsvoll. Die Männer haben jahrzehntelang eigentlich zu wenig bezahlt.

  30. Warum haben betagtere Frauen häufig lila Haare?
    Sie haben oft das, was ich «Altersheimblond» nenne: helle Haare, die genetisch bedingt mit den Jahren gelb werden – manchmal unterstützt von Sonneneinstrahlung und Nikotin. Das sieht natürlich eher ungepflegt aus, kann aber mit etwas Silberfarbe bekämpft werden. Je nachdem, wie man den Ton wählt, kann es dann auch ins Lila kippen. Ich finde das aber eigentlich noch recht heiss.

  31. Gibt es heute mehr oder weniger Coiffeure als vor dreissig Jahren?
    Viel mehr. In den letzten zehn Jahren hat sich der Bestand sicher verfünffacht.

  32. Korrekte Beobachtung, dass nach dem Hoch in den 1990er- und Nullerjahren aktuell im Coiffeur- Gewerbe wieder eine leichte Preiskorrektur nach unten stattfindet?
    Ja, das stimmt. Und ich finde es völlig unfair, was da jetzt passiert mit den neuen Dumping-Coiffeursalons. Dieses Unter-dem-Preis-Verkaufen ist unehrenhaft gegenüber unserem Beruf.

  33. Was ist ein fairer Preis für einen anständigen Schnitt?
    Der Schnitt kostet bei mir zwischen 70 und 120 Franken.

  34. Welchen Fehler macht Trumps Coiffeur?
    Trump hat hinten fast keine Haare mehr, aber auch keinen guten Kopf für eine Glatze. Das ist ganz schwierig. Ich würde bei ihm eher mit Haartransplantation oder Haarersatz arbeiten. Da gibt es inzwischen tolle Möglichkeiten – siehe Elton John, Sean Connery oder John Travolta.

  35. Ist Roger Federer auch auf dem Kopf Weltklasse?
    Ich hätte ihm mal die Haare schneiden können. Es war an einem Sonntag, und ich wurde angerufen: «Könntest du?» Das war am Anfang seiner Karriere, er hatte damals einen richtigen Teppich auf dem Kopf und hätte dringend geschnitten werden müssen, aber ich Trottel hatte einfach keine Lust. Bereue ich heute noch. Inzwischen hat er eine tolle Frisur, sieht sehr gut aus, obwohl seine Haare nicht einfach sind: hohe Geheimratsecken und dann viele Wirbel und Locken, das ist anspruchsvoll zu schneiden.

  36. Kann man Frisurenstile geografisch verorten?
    England hat sehr gewagte Linien und verrückte Farben, Franzosen sind eher weiblich-verspielt, viele schöne, natürliche Farben. Italiener: sehr uniform, eigentlich haben die immer einen Schnitt, den jeder trägt – wie bei den Kleidern auch. Deutsche sind eher bieder geschnitten, und die Schweizer haben von allem etwas.

  37. Wo liegt für euch Coiffeure der Hotspot?
    Kann man nicht mehr sagen. Früher war es London und Paris. Heute holst du dir deine Inspiration überall.

  38. Gehört Asien auch hier die Zukunft?
    Das kann ich mir nicht vorstellen. Noch kommen sie zur Inspiration oder zum Kopieren nach Europa oder Amerika. Das asiatische Haar ist viel schwieriger, da steckengerade, glasig und dunkel, deshalb Dauerwellen und färben sie wie verrückt.

  39. Was ist der nächste Frisurentrend?
    Es gibt keine Trends mehr, nur noch Variationen. Die Formen, die sich von den Zwanzigerjahren bis in die Neunziger entwickelt haben, sind jetzt alle ausgeschöpft. Ich war in den späten 1960er-Jahren in London bei Sassoon und habe dreissig Jahre später die fast identische Show gesehen: Da wusste ich, jetzt haben wir alles gesehen, alle Stile sind einmal durch. Es gibt keine neuen Formen mehr, nur noch wechselnde Farben, Pony mal kurz oder lang, gefranst oder straight, eher gelockt oder gerade. Das hat mich irgendwie sehr traurig gemacht.

  40. Soll man seinem Coiffeur beichten, dass man letztes Mal bei einem anderen war, oder sollte man das doch lieber sein lassen?
    Kann man, aber muss man nicht, ich sehe es ja sowieso, wenns nicht mehr mein Schnitt ist. Aber Fremdgehen gehört dazu, ich verstehe das, manchmal musst du zu einem anderen, der sieht dich ja auch anders. Schön ists, wenn die Kunden zurückkommen!

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Radio SRF1: Treffpunkt – Glatze, die ausgefallene Frisur

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«Donald Trump würde ich nie zu einer Glatze raten!»